Die Magie des Virtuosen? Die Virtuosität des Magiers
Das Folgende ist ein Eintrag im Gästebuch eines Berliner Zauberkünstlers, ein Beitrag für das TIP-Blog realitylive und eine erste Annäherung an das Thema Virtuosität & Magie:
Lieber Kolja,
seit meinen eigenen, mehr oder weniger erfolglosen Versuchen, in dem Standard-Zauberkasten, den ich als Siebenjähriger zum Geburtstag bekommen hatte, die wenigen wirklichen Tricks aufzuspüren, hat mich die Zauberei auf sonderbare Weise zugleich gelangweilt und fasziniert. Die Mischung von Langeweile und Faszination in diesem Fall ist das genaue Gegenteil von der beim Schach: die Langeweile kommt gewissermaßen zuerst, und die Faszination setzt mit der Beharrlichkeit ein. Je länger ich eine Zauberei-Darbietung verfolge, desto stärker wächst meine Erregung. Bei einem großartigen Zauberer habe ich stets irgendwann später das Gefühl, dass mit dem, was er scheinbar möglich gemacht hat, noch ein anderes Unmögliches möglich geworden ist (oder hätte werden können). Wobei ich diese Chancen regelmäßig verspiele.
Vor einiger Zeit habe ich in dem hervorragenden Film »The Prestige« von Christopher Nolan etwas Bemerkenswertes über Zauberei erfahren. Die Dramaturgie eines Zaubertricks hat drei Phasen: Der Zauberer zeigt dem Publikum zunächst etwas Vertrautes, was jeder wiedererkennt – einen kleinen Vogel (so das Beispiel im Film). Dann vollbringt er mit diesem Ding etwas Wunderbares – er lässt den Vogel verschwinden. Dieser Augenblick, den man die Sekunde des Magiers nennen könnte, hat etwas durchaus Zweideutiges. In ihm konzentriert sich die ganze Zwielichtigkeit des Zauberkünstlers als eines Virtuosen: eines außergewöhnlich geschickten Menschen, dessen Geschicktheit aber zugleich etwas Unverhältnismäßiges, Übermenschliches hat. Was sich in diesem Augenblick ereignet, stellt das eigentliche Ziel der virtuosen Darbietung (und natürlich das Motiv für die Anwesenheit des Publikums) dar; aber es ist auch ein Skandalon, die Quelle einer Aggression, einer Entrüstung, eines existenziellen Vorbehaltes gegen denjenigen, der die Gemeinschaft aus ihrer Mitte heraus verlässt, sie als leerer Zirkel der Übriggebliebenen am Boden zurücklässt, während er selbst oben in der dünnen Luft einer symbolischen Zirkuskuppel ein die allgemeinen Gesetze der Schwerkraft verlachendes Kunststück vollführt.
Um den Beifall des Publikums zu erringen, ist es daher unerlässlich, dass der Zauberer noch eine weitere Wendung vollzieht. Die virtuose Darbietung bedarf nach der Exposition von etwas Normalem und einer verblüffenden Überschreitung noch einer dritten Phase. Diese dritte Phase heißt, wie der Film behauptet, „Prestige“, und es geht hier in der Tat darum, sich für die Leistung, die man vollbracht hat, so zweifelhaft sie als solche bleibt, ja bleiben muss, eine reale Anerkennung zu verschaffen, die Wirklichkeit des Vollbrachten rückwirkend in der Wirkung auf das Publikum, in der affektiven Reaktion der Zuschauer überwältigend werden zu lassen. Ein verschwundener Vogel lässt die Leute stumm und unzufrieden zurück. Erst in dem Moment, da der Zauberer den Vogel irgendwo anders, aus seinem Zylinder, aus dem Decolleté seiner Assistentin oder der Handtasche einer Zuschauerin in der ersten Reihe wieder hervorholt, bricht der Saal in Applaus aus. Erst nachdem die Normalität wiederhergestellt ist, um das Zauberhafte bereichert (aber nicht dadurch verändert), hat die magische Performance Erfolg.
Daraus lässt sich etwas über das Prinzip von Erfolg überhaupt lernen. Meinen Sie nicht?
Auf die Gefahr hin, dass Ihnen diese Beschreibung Ihres Gewerbes zu theoretisch erscheint – und dass sie diesen kleinen Trick hier nicht sofort durchschauen –, hoffe ich, mit diesem Eintrag ein wenig zu ihrem Prestige beigetragen zu haben. Wenn Sie die Hintergründe dieser Zeilen aufklären wollen, werfen Sie einen Blick in das TIP-Blog oder auf diese Seite: wasistvirtuos?
Mit herzlichen Grüßen
allesfliesst
Zum Original-Eintrag im Gästebuch von Kolja Kaldun
allesfliesst - 25. Aug, 14:33
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