Soziale Virtuosität und zeitgenössische Kunst: B2B von Jan-Holger Mauss
Künstlerische und soziale Performance
Bei den gängigen Konzepten von Performance-Kunst gab es immer ein Moment theatraler Exposition: Ob auf einer Bühne, in Alltagsszenarien oder in virtuellen szenischen Arrangements - es ging darum, dass die künstlerische Ausführung von Handlungen eine ästhetische Differenz in deren Beobachtung und Erfahrung einführt. Die ästhetische Differenzierung legt im Handeln Momente frei, die den Rahmen des Funktionellen, Pragmatischen überschreiten, verschieben oder erschüttern.
Auf diese Dynamik der ästhetischen Differenz beziehen sich die meisten Vorstellungen von einer gesellschaftlichen und politischen Wirkung künstlerischer Arbeit – von der Wahrnehmungskritik über das Eröffnen neuer Erfahrungshorizonte bis hin zur Dekonstruktion fundamentaler Ordnungsmuster oder dem anarchischen Potenzial eines Situationismus.
Seit den 90er Jahren begegnet diese ästhetische Differenzierung des Sozialen einer gegenläufigen Tendenz, die das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft neu formuliert: Der künstlerische Umgang mit der ästhetischen Differenz entwickelt sich seinerseits zu einer Sozialtechnik. Statt die soziale Dimension von Handlungen theatral zu exponieren, erdenken und vollführen Künstler Handlungen, die ohne Umweg über einen »Gesellschaftsbezug« sozial wirksam werden.
Diese neue soziale Kunst ist, vereinfachend gesagt, ein Weg, wie Künstler Künstler kennen lernen. Das Kunst-Machen dient vor allem dazu, sich in Künstler-Netzwerke zu integrieren. Und die Produktionsweisen selbst verändern sich durch diese Dynamik des sozialen Networking. Die gesellschaftliche Existenz des Künstlers wird damit zum eigentlichen Medium seiner Arbeit – und zwar im umfassendsten Sinn des Wortes »Medium«: zu einer sich verselbständigenden Integration von Ursachen, Mitteln und Zielen. Die gesamte Ökonomik der Verdichtung, die früher das Werk oder die Arbeit als materiellen Prozess betraf, wird nun in einen sozialen Steigerungsprozess umgeschrieben.
Die B2B-Aktivitäten...
...des 1963 geborenen Hamburger Künstlers Jan-Holger Mauss erscheinen mir als ein bemerkenswertes Beispiel für die neue soziale Virtuosität in der Kunst. Und zugleich als eine Reaktion auf gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen, durch die »Künstler« zum Lebens- und Arbeits-Modell eines neuen Typs von Kapitalismus geworden ist.
B2B begann 1996 damit, dass Mauss auf eine Arbeit von Eva Grubinger reagierte: Sie hatte auf einer Website das Schnittmuster für einen »Netz-Bikini« zum Download zur Verfügung gestellt. Mauss schneiderte diesen Bikini, schickte ihn jedoch nicht an die Künstlerin ein, um ein »Echtheits-Zertifikat« zu erhalten, sondern verwendete ihn für seine eigene Performance: Er stellte sich selbst im Netz-Bikini als Modell für die Arbeiten von anderen Künstlern und Künstlerinnen zur Verfügung – d.h., er übersetzte das im Wortspiel angesprochene Prinzip der virtuellen Vernetzung in das reale Netzwerk seiner sozialen Beziehungen zurück.
Im Rahmen dieser persönlichen Vernetzung sind bislang Arbeiten von mehr als 100 Künstler/innen entstanden, in denen Mauss mit dem Bikini auftaucht - darunter neben den hier gezeigten u.a. Bernhard Prinz, Thomas Ruff, Walter Schels, Christian Jankowski und Angelika Platen. Das Spektrum der Arbeiten reicht von Fotografien, Zeichnungen und Gemälden über Skulpturen, Installationen, Objekte und Videos bis hin zu Performance-Szenarien und Texten.
Was Mauss selber tut, verknüpft seine Kompetenzen als ausgebildeter Künstler mit seinen sozialen Kompetenzen als jemand, der es vor allem versteht virtuos zu kommunizieren: Er knüpft neue Kontakte und aktiviert bestehende, initiiert den Prozess der Überredung, Verführung, quasi-vertraglichen Übereinkunft oder auch Überrumpelung desjenigen, der ihn abbilden soll. Er organisiert oder reorganisiert die produktive Aufmerksamkeit des anderen, um sich darin als dessen Produkt zu platzieren. Er engagiert sich im diplomatischen Prozess einer Übersetzung, die ihrem Wesen nach Selbst-Übersetzung ist: Er übersetzt seine Bereitschaft in etwas, was der andere Künstler als sein eigenes Motiv, das heißt als Projektion seines Begehrens nach einem Bild wiedererkennen kann.
Mauss beobachtet die Arbeitsweise des ausführenden Künstlers, und seine soziale Geschmeidigkeit, die erstaunliche Anpassungsfähigkeit, die er besitzt, wird in diesem Moment zu einer ästhetischen Geschmeidigkeit: Er ist als Objekt des künstlerischen Blicks ebenso entgegenkommend, ebenso bereit, sich den Vorstellungen des Sehenden einzufügen, wie sein gesamtes kommunikatives Wesen darin besteht, unerhört flexibel – und in der Figur dieser nackten Kommunikativität ungemein wiedererkennbar zu sein.
»Zusammentreffen«, Aplanat Galerie für Fotografie, Hamburg, 2004Die folgenden Links führen zu den Texten der Vorträge, die ich jeweils anlässlich der Eröffnung dieser Ausstellungen gehalten habe:
»B2B And Back Again«, Laura Mars Grp., Berlin, 2004
Hintergrundwissen
Twelkers Aquarell auf Metall in zersplittertem Zustand. Beide leben zusammen, haben aber getrennte Ateliers in Berlin und arbeiten unterschiedlich - sind also kein Künstlerpaar. Das Aquarell von Jochen entstand im Jahr 2000. Anne fertigte ihre Arbeit 2004. Beide waren bei B2B AND BACK AGAIN bei LAURA MARS GRP. das erste Mal ausgestellt. Dort hingen sie im kleineren Raum rechts und links vom Durchgang."
Abbildungen oben im Beitrag:
Gabriele Basch, Scherenschnitt (152 x 128 cm)
holly und golly (Anette Hollywood und
Anna Gollwitzer), X-mas
Filmarbeit von Sabiena von der Linden aus abgefilmten Fotos
allesfliesst - 31. Jul, 22:39
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