Dienstag, 12. August 2008

Unpopuläre Virtuosen: Zur Typologie des »musicians' musician«




Obwohl Popmusik bereits durch ihren Namen eine Publikumsorientierung signalisiert, gab es in ihren Szenen stets eine Anzahl von Musikern, die als „Musiker-Musiker“ galten. Sie wurden von anderen, teilweise sehr populären Musikern hoch geschätzt, ja verehrt, jedoch selbst nie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Dabei handelte es sich zumeist keineswegs um Künstler, die eine besonders schwer zugängliche, sich avantgardistisch oder exzentrisch gebende Musik spielten, sondern im Gegenteil um solche, bei denen ein stärker technisch geprägter Zugang zu einer bestimmten Musikrichtung verhinderte, dass sie eine allzu originelle Interpretation des Genres vorlegten oder sich vom Genre lösten.

Diese Musiker-Musiker waren zu sehr damit beschäftigt, auf immer gekonntere Weise immer das Selbe zu spielen, um es zu Aufsehen erregenden Neuschöpfungen oder Stilmixes zu bringen. Sie produzierten eine Art von Blues, der eben genau das war: rauer, trockener, punktgenau trauriger Blues; eine Art von Singer-Songwriter-Folk, der exakt auf der Spur einer bekannten, von vielen Vorgängern ausformulierten Melancholie entlanglief; eine Art von schnörkellos geradlinigem Rock, der das wohldefinierte Gitarrenriff als organische Einheit des Songs behandelte, als sei diese Einheit historisch niemals zerbrochen.

Sie waren in gewisser Weise zu konservativ, zu traditionalistisch eingestellt, um die etablierten Konventionen eines Genres durch Neuerungen zu verraten oder sich am Spiel der De- und Refiguration zu beteiligen, das ‚Genre’ zur Bezugsgröße einer postmodernen popkulturellen Ästhetik hat werden lassen.

Sie agierten dabei als Interpreten schon zu sehr als Kenner, um mit dem, was sie machten, noch zu Laien zu sprechen (und ein Publikum findet sich immer im Vorfeld eines laienhaften Staunens, in einer Erwartung des Ereignisses, welche die vereinzelte Kennerschaft seiner Mitglieder gemeinsam suspendiert, d.h. in einem Augenblick, wo der verfeinerte Sinn für das Selbe dem Gemeinschaftsdruck des Überraschtwerdenwollens durch etwas Anderes nachgibt). Wer die besondere Qualität des Spiels dieser Musiker erfahren wollte, musste über ein ähnlich hervorragendes Know-who und Know-how des Genres verfügen wie sie selbst. Und auch dann gab es keine Abweichungen zu hören, sondern eine unvergleichlich delikatere, präzisere Art, die Musik genau so zu spielen, wie sie auf der Höhe ihrer immanenten Ausdifferenziertheit, in ihrem Namen gespielt werden musste.





Mit anderen Worten, diese Musiker-Musiker waren ein besonderer Typ von Virtuosen: unpopuläre Virtuosen, die ihr Können nicht auf einer öffentlichen Szene ausstellten, indem sie das Mehr an technischer Meisterschaft und Sophistication in einer für ein halbgebildetes Publikum nachvollziehbaren Form sichtbar machten.

Die Popularität des Star-Virtuosen in der Musik hängt, wie Jankélévitch bemerkt hat, sehr viel eher vom Gestischen und Visuellen in seiner Performance ab als vom Klangereignis: Das Publikum braucht das Außergewöhnliche gar nicht zu hören, da jeder es sehen kann (am Wirbel der Hände über den Klaviertasten, am Veitstanz des Geigers, an den Verrenkungen von Unterleib und Zungenspitze auf den Gitarrensaiten).

Die Virtuosität dieser Musiker hielt sich dagegen ganz in der Dimension des Hörbaren verschlossen, weshalb sie selbst durch ihr Spiel nicht als Virtuosen in Erscheinung traten, keine gestische Figur hervorbrachten, die ihre musikalische Produktion als virtuose Performance auszustellen erlaubt hätte.

Die Stars holten sie sich gern als Studio-Musiker für ihre Aufnahmen, da die Kombination von Brillanz und Unscheinbarkeit sie zu idealen Mitwirkenden machte. Mitunter trat einer dieser diskreten Virtuosen im Vorprogramm auf der Tournee eines Stars auf; häufiger jedoch las man ihre Namen nur in den Credits eines Albums bzw. erfuhr von ihnen erst dort, wo sie eine andere Gruppe von Experten, die Musikjournalisten, beeindruckt hatten, die ihre Bewunderung in einer massenhaft rezipierbaren Weise an das Publikum weitergaben, ohne dass dies wirklich zu einer Popularisierung der Musiker führte.




In der gesamten Musik, ja in allen Künsten, die in der Neuzeit einen Anspruch auf Autonomie angemeldet haben, überlagern sich zwei Aufmerksamkeitsfelder: eine Szene, auf der die Künstler einander gegenseitig wahrnehmen, und eine, auf der sich jeder von ihnen einem Publikum präsentiert.

Georg Franck hat darauf hingewiesen, dass ästhetische Autonomie sich sozial realisiert, wo Künstler zunächst auf die Arbeiten anderer Künstler reagieren und damit rechnen, mit ihrer eigenen Arbeit von anderen Künstlern rezipiert zu werden. Das Publikum ist hier (nur) die Figur eines Dritten, der hinzukommt.

Lässt das Konkurrieren um die Gunst eines Publikums die Künstler wie Unternehmer erscheinen, die auf einem gemeinsamen Markt mit ähnlichen Produkten um Abnehmer kämpfen, ist das Aufmerksamkeitsfeld, das die Sphäre der Produktivität konfiguriert, doch nicht einfach ein primärer Markt, der dem sekundären vorgeschaltet wäre.

In seiner Beziehung zu anderen Kulturproduzenten geht es dem Kulturproduzierenden nicht in derselben Weise um Berühmtwerden, Akkumulation eines Maximums an Beachtung, Etablierung möglichst asymmetrischer, profitabler Beziehungen, bei denen er mehr Beachtung und Anerkennung bekommt, als er ausgibt. In der Ökonomie der Anerkennung von Produzierenden durch Produzierende nimmt die ‚Wertschöpfung’, bei der es nicht nur um den Status, sondern um die (Re )Produktion von Produktivität geht, andere und durchaus komplexere Formen an als auf Absatzmärkten.





In der Popmusik werden die Differenzen zwischen den beiden Aufmerksamkeitsfeldern besonders deutlich, nicht zuletzt deshalb, weil der künstlerische Autonomie-Anspruch sich hier eher in der technischen Dimension des Performens realisiert hat als durch die Abtrennung eines Werkes von den sozialen und ökonomischen Kriterien seiner Distribution und Verwendung.

Die Produktion von Popmusik, die Volks- und Kunstmusik gleichermaßen supplementiert, hat kaum auf ein „interesseloses Wohlgefallen“ als Rezeptionshaltung spekuliert, sondern ihre ästhetischen Ansprüche in die Evidenz ihrer Wirksamkeit eingeschrieben. Sie hat ihr Produzieren deutlich bewusster als die bürgerlichen Künste als strategische Auseinandersetzung mit der Vielfalt ihrer möglichen Gebrauchsweisen verstanden.

Obgleich es auch in der Popmusik Resonanzen der künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts gab und immer wieder einmal Bands die Forderung erhoben haben, dass ihre Musik als „richtige Kunst“ gewürdigt, d.h. als Werk aus der Ökonomie der Verwertung geborgen werde, waren es nicht diese Forderungen, die der Popmusik künstlerische Autonomie verschafft haben, sondern die vehemente Ausdifferenzierung jenes Aufmerksamkeitsfeldes zwischen den Produzierenden, in der das Technische, die Frage des How to perform die maßgebliche Rolle spielte.

Von den „rockistischen“ Figuren des Mucker-Daseins bis zu Elektronik-Gefrickel und Turntablism kann man das Technische als unmittelbare Triebkraft der ästhetischen Autonomisierung erkennen – und zwar ein Technisches, das von Anfang die Verschränkung von Spieltechnik (Umgang mit Instrumenten) und Sozialtechnik bedeutete.





Das begann bereits beim Lernen des Instruments. Im Gegensatz zur klassischen Musik, wo die Ausbildung seit dem 19. Jahrhundert stark institutionalisiert ist, stellt das Lernen von Pop-Instrumenten einen eminent sozialen Prozess dar und ist in eine relative wenig geregelte Interaktion zwischen Produzierenden eingelassen.

Man lernt einerseits, während man bereits in einer Band spielt, so dass die technischen Fortschritte sich zumindest zum Teil in einer kollektiven Dynamik ergeben (mit der Konsequenz, dass Instrumente und Spieltechniken im Pop auch schon vor der Epoche des Sampling füreinander durchlässiger waren als in der Klassik), und andererseits in einem realen oder virtuellen Mitvollziehen des Spiels von anderen, bekannteren Spielern.

Professionalisierung vollzieht sich nicht durch das Erlangen institutioneller Qualifikationen (obwohl die Musikhochschulen mittlerweile begonnen haben, Pop in ihren Ausbildungskanon zu integrieren), sondern im Zuge sich wechselseitig steigernder Anerkennung. Ob ein Popmusiker als professionell gilt, ist bis heute eine Frage, die sich ausschließlich auf seinen sozialen Status innerhalb der Szene(n) von Musikern beziehen kann, zu der (denen) er gehört.

Auch ein großer Publikumserfolg mit einer Veröffentlichung befreit eine Popband nicht vom Verdacht des Dilettantismus – im Gegenteil: je weiter sich die ökonomischen Strategien des Star-Machens perfektionieren und das Startum von den technischen Leistungen als Musiker ebenso abkoppeln wie von der schöpferischen oder persönlichen Originalität, desto prekärer wird der professionelle Status der Erfolgreichen. Professionalität ist in der Popmusik noch weitaus mehr als in anderen Bereichen eine Sache des Rufs; und der Ruf ist weitaus mehr als woanders das Substrat der Fähigkeit, andere renommierte Musiker für das eigene Spiel zu begeistern, ihnen als Figur ihrer Liebe zur Musik zu erscheinen, die ihr mehr oder weniger dominantes Streben nach dem Publikumserfolg von einer ursprünglichen Motivation abtrennt.

Ein Musiker-Musiker mit dem Ruf eines Profis gibt den erfolgreicheren anderen, die ihm Anerkennung zollen‚ etwas vom Authentischen zurück, von der unkompromittierten Wirklichkeit eines Performens, das glücklich macht: von jenem Glück des Selben, das sie für andere Versprechen geopfert haben.





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