Freitag, 25. Januar 2008

Virtuosität und Industrie




Es besteht ein hintergründiger Zusammenhang zwischen den scheinbar jeder Kunst und Würde beraubten Leistungen, wie die Manufaktur- und Industriearbeiter sie in ihren Betrieben vollbrachten, und der Figur des Virtuosen. Die Po(i)etik von Virtuosität nimmt das, was der Industriekapitalismus massenhaft umsetzte, in gewisser Weise immer schon vorweg: Erst dort, wo die einzelne Tätigkeit von ihrer Zweckbestimmung durch die zu schaffende Ganzheit eines Werkes gelöst ist, wo der Herstellungsvorgang zum Arbeitsschritt und damit zu einer reinen Performanz wird, wo das, was zu tun ist, von selbst geht und man dessen Beobachtung darauf beschränken kann, die Einhaltung der Wiederholung zu überwachen, findet sich die Gelegenheit zu einer virtuosen Steigerung.

Die Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der ein Fließbandarbeiter seinen kleinen Handgriff verrichtet, zu dem er ein durchaus äußerliches, durch die mechanische Wiederholung bestimmtes Verhältnis hat, die unscheinbaren Steigerungen, die er selber in diesen vorgegebenen mechanischen Ablauf einfügt (oder aus ihm herausholt) und die nur seine eigene Performance betreffen und nicht das Produkt, das am Ende steht, sind dunkle Reflexe des Künstler-Virtuosen, der sich auf Koloraturen, Spitzentöne, rasende Arpeggien oder spektakuläre Sprünge konzentriert statt auf eine angemessene, in Proportion zur Harmonie des Ganzen stehende Wiedergabe des Kunstwerkes – und umgekehrt, denn die Geschichte der Virtuosität seit dem 19. Jahrhundert lässt sich ebenso als spektakuläre Profanierung der Kunst lesen wie als künstlerisch-kreative Redeterminierung der profanen Produktion von Waren.

Die entscheidende Frage ist, welche Szene der bzw. das Virtuose zur Demonstration seiner Steigerungen erhält: Der Detailarbeiter ist der erste Performer im Bereich der Produktion. Die Tatsache, dass er höchst effektiv arbeitet, ohne etwas Richtiges gelernt zu haben, bietet hier nur deshalb keinen Anlass zum Staunen, weil die Organisation der Fabrik dem dort Arbeitenden Zeugen verweigert, weil ihre Fertigungsarchitektur die Anwesenheit von anderen durch eine rigide mechanische Refiguration auch der Beziehungen zwischen den arbeitenden Menschen neutralisiert und statt Gleichheit eine Gleichartigkeit etabliert, in der niemand mehr zu bezeugen vermag, was ein anderer tut, da alle für dieselbe Maschinerie tätig sind. Der industrielle Apparat, der das ökonomische Genie des Unternehmers und das technologische des Ingenieurs (später dann das organisatorische Genie des Managers) repräsentiert, zieht alle Aufmerksamkeit auf sich, und er zieht sie von dem ab, was die Arbeitenden in ihren subalternen Positionen tun können.

Durch diesen Entzug von öffentlicher Aufmerksamkeit und der entsprechenden Anerkennung wird Fabrikarbeit zur am niedrigsten bewerteten Tätigkeit, während virtuose Musiker, Sänger, Tänzer und Schauspieler als gefeierte Stars umherziehen. Und keine Anstrengung, nicht einmal die Bemühungen um eine sozialistische Poetik der Arbeit (wie z.B. die Bitterfelder Beschlüsse in der DDR sie erzwingen wollten), hat das kompensieren, geschweige denn die Implementierung des Mangels an Anerkennung für das, was Menschen einfach so tun können, aufzuheben vermocht.

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Der französische Philosoph Jacques Rancière überlegt in Aux bords du politique, ob man die Revolution statt als Umsturz der Besitzverhältnisse nicht eher als Wendung der Performance-Verhältnisse denken sollte:
»Vielleicht ist es in der Tat [en effet – lies: im Effekt] nicht notwendig, dass die Arbeiter, um Gleiche zu sein, ihre Fabriken besitzen und sie selber betreiben. Es genügt vielleicht, wenn sie bei Gelegenheit [à l’occasion] demonstrieren, dass sie es tun können.« (Jacques Rancière, Aux bords du politique, Paris 1998, S. 91)
Das knüpft Gleichheit sehr bewusst an die Demonstration eines Könnens, und zwar eines Es-tun-Könnens, d.h. einer Performance, die sich nicht kraft eines souverän andeutenden Nicht-(alles)-Tuns in eine sozio-ökonomische Ordnung der Kompetenz und ihrer Herrschaftsverteilung einträgt, sondern die einmal wirklich zeigt, was sie kann, sich dort in einer Aktualisierung verausgabt, wo sich die Gelegenheit dazu bietet.

Denn es geht hier nicht um den Aufweis einer Möglichkeit (»Die Arbeiter könnten als Gleiche Anerkennung finden...«), die sich in einer Bedingung verwahrt (»...wenn es ihnen gelänge, ihre Fabriken selber zu betreiben«). Es geht nicht darum, diese Möglichkeit gegen die Realität in Anschlag zu bringen, in der die Arbeiter die Fabriken nicht besitzen und weit davon entfernt sind, diese selber zu verwalten. Der Kampf, den die Rhetorik des emanzipatorischen Handelns einrichtet, soll nicht zwischen einem Möglichen und einem Realen stattfinden, sondern zwischen einer Wirklichkeit, die sich als Wirklichkeit eines Es-Tuns der Gegenwart bemächtigt, und der sich ihrerseits stets strategisch im Möglichen zurückhaltenden und vorbehaltenden Realität der ökonomischen und sozialen Ungleichheit.

Die Demonstration des Könnens erlangt ihre Wirksamkeit darin, dass sie ihre Wirklichkeit – eben: die einer Demonstration – den Fakten entgegensetzt, anstatt den nahezu zwangsläufig zum Scheitern verurteilten Versuch zu unternehmen, sich in das Feld der ökonomisch und sozial ermittelten Fakten zu integrieren. Zu wissen, dass Arbeiter eine Fabrik in eigener Regie betreiben können, legt die Konstitution der realen Verhältnisse frei, in denen sie arbeiten. Diese Demonstration zeigt, dass die Ungleichheit nicht das Reale ist, an dem die Illusionen der Gleichheit bedauerlicherweise zerschellen, sondern eine Realität, deren Konstruktion eben dadurch Bestand hat, dass sie einen Teil der Wirklichkeit verleugnet und ausschließt: das virtuose Mehr der Arbeiter.

Es ist der systematische Abzug dieses virtuosen Mehr, der das, was die Arbeiter in den Fabriken tun, zu nichts als Arbeit macht, d.h. zu einem ›zurecht‹ untergeordneten Ausführen, das nicht imstande ist, sich aus eigener Kraft zu organisieren. Demonstrationen hätten demgegenüber eine Szene zu eröffnen, auf der die »Virtuosität des Detailarbeiters« in Erscheinung treten kann, die schon Marx in Staunen versetzt hat.

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