Das Sade'sche Noch eine Anstrengung..., das den Republikanismus als radikales Programm eines Republikaner-Werdens definiert:
Wie Roland Barthes bemerkt, bricht das Pamphlet zugleich mit der Idee/Ideologie eines homogenen Volkes: Der „Mann aus dem Volk“, Auguste, der junge Gärtner, der an den sexuellen Ausschweifungen teilgenommen hat, wird hinausgeschickt, als man den politischen Text verliest:
der Diskurs, der die republikanische Moral begründet, ist paradoxerweise ein linguistischer Sezessionsakt. Die Sprache des gemeinen Volkes, an der sich zunächst die aristokratische Sprache ergötzt, wird danach einfach aus der Dissertation, d.h. aus dem Austausch (zwischen Logos und Eros) ausgeschlossen [...].
Es gibt also eine klare Unterscheidung zwischen Körper und Sprache, nicht im Sinne einer Körper-Geist-Dichotomie, sondern zwischen dem Prinzip der körperlichen Vermischung und dem Prinzip einer Trennung, dem die Szene des Sprechens sich verpflichtet:
Während die sexuelle Szene die Verkettung aller Körper unter dem ökonomischen Gesichtspunkt maximalen Lustgewinns betreibt (und dafür bereitwillig den Schwanz eines Königs in den Arsch eines Bauernjungen steckt oder eine adelige Dame mit dem Sperma, der Pisse und Scheiße von Seeleuten überflutet), kommt es der Sprache zu, die Trennung zwischen den Menschen zu bezeugen.
Auch innerhalb der erotischen Szene wird diese politische Trennung, wie Barthes präzise analysiert, nur auf der Ebene der Sprache evident: Als Körper sind die Libertins ebenso wie ihre Opfer und Helfer gleichermaßen Module, die man nebeneinander anordnen, durch Bewegungen verknüpfen, in einer Mechanik (oder manchmal Kybernetik) zum Funktionieren bringen kann.
Allein der logos unterscheidet die Täter von den Opfern, die Überlebenden von den zum Tode Verurteilten, die Freien von den Geknechteten. Der Libertin ist derjenige, der, ob in der Position des Quälenden oder des Gequälten, zu sagen vermag, wie er genießt, die Logik der Lust benennen und theoretisch reflektieren kann. Das Opfer ist derjenige, der bloß schreit, sich selbst auf das Körperliche reduziert. Logopolitische Differenz: die Macht des Wortes und die politische Macht sind bei Sade streng synonym.
Ein konsequenter Republikanismus wäre dementsprechend nicht die Rückführung aller Menschen auf die stumme Dynamik der Körper (alle, auch die, die vernünftig zu sprechen verstehen, werden gleichermaßen Schrei), sondern die konsequente Ablösung des politischen Diskurses von der mechanischen Verkettung der Körper und ihrer Artikulationen.
Die revolutionäre Szene wäre nicht die der Vereinigung der Körper zu einer Masse, die sich von irgendwelchen Punkten her in Bewegung setzt (später einmal wird man diese Punkte als Aristokraten identifizieren), um alles zu überrollen, sondern eine Praxis des Sprechens, die bewirkt, dass das politische Wort nur im Zustand der Trennung vernommen wird.
Das Noch eine Anstrengung...!, mit dem diese Praxis des Sprechens beginnt, würde sich auf eine Wiederholung im Zustand der Trennung beziehen – eine virtuose Wiederholung dessen, was bereits auf der Ebene der verklebten Körper getan wurde (was zu tun ist, ist vollkommen klar): eine Wiederholung, die das Selbe leichter, eleganter, geübter vollzieht und den Vollzug, die Praxis des Sprechens (in dem, was sie mit den Körpern und durch die Körper bewirkt) von den Bewegungsgesetzen der Materie namens Volk emanzipiert.
Die Sadesche Szene der Unterweisung, wie die Philosophie dans le boudoir sie entfaltet, verzichtet keineswegs auf das Volk und den Körper. Aber die Politik der Anstrengung, die der Sade'sche Republikanismus lehrt, beruft eine virtuose Praxis des Sprechens zur Ausführung jener Bewegungsfiguren, als die sich kollektive Handlungen technisch darstellen.
Ohne jene zweite, nochmalige, wiederhole Anstrengung, die Virtuosität in das Handeln einführt, ist mit dem Volk nichts zu erreichen. Ohne diese virtuose Wiederholung der revolutionären Bewegung bleibt die Bewegung ein mechanisches, auf eine soziale Physik der Masse zurückbuchstabierbares Phänomen.
Um Handlung zu werden, bedarf das revolutionäre Geschehen einer Praxis des Sprechens, die seine Szene rekonfiguriert und in den mechanischen Verbindungen zwischen den vielen Beteiligten die Freiheit, d.h. die Trennung evident macht, die der Bewegung ihre virtuose Leichtigkeit verleiht.
Ein interessantes Zitat zum Thema Virtuosität und Politik im 19. Jahrhundert:
»So wenig Mitgift haben wir von der Natur empfangen? - so viele Gründe waren da, den Glauben an das Gemeinschaftliche fahren zu lassen, in einer rafinirten Privatglückseligkeit, Privatenitur und im häuslichen Leben Entschädigung für das Entbehren der Nationalität zu suchen, und vielmehr das Europäische Universum zu suchen als das Vaterland im Auge zu haben! so leicht mußte bei uns der Irrthum um sich greifen, daß die Nation nichts weiter als ein Konvolut zufällig neben einander wohnender Virtuosen und gebildeter Privatmänner, der Staat nichts anderes als eine polizeiliche Maschine für unsre äussere Sicherheit sei, die nebenher etwa noch die Bestimmung hätte, die größtmögliche Anzahl solcher Virtuosen zu erziehn! - Denken Sie sich an die Spitze eines solchen Volkes noch einen Virtuosen in der Regierungskunst, geschmückt mit allen Zierden des Privatlebens, das erste Talent Europas und seines Jahrhunderts - was ist natürlicher, als daß das königliche Wesen über den Virtuosen vergessen wird, und die Nationalität über den Reiz des Privatlebens.«
Adam Müller, Erste Vorlesung über König Friedrich II. und die Natur, Würde und Bestimmung der preußischen Monarchie (gehalten am 11.1.1810 in Berlin, abgedruckt in der Zeitschrift Pantheon, Zitat S. 189)
Oder: Was macht die Virtuosität eines Virtuosen aus?
Joshua Bell würden die meisten, die mit Klassik vertraut sind, als Virtuosen betrachten. Es wäre keine Frage, hätte man die Möglichkeit, einem seiner Konzerte beiwohnen zu können, man würde es irgendwie möglich machen. Viele würden dafür nicht einmal gerade wenig Geld für ein solches Erlebnis hinlegen. Sie tun das, weil sie von ihm eine Darbietung erwarten, die andere Künstler in der Form nicht zu leisten im Stande wären. Doch gerade auch der Rahmen, in dem das Event präsentiert wird, trägt entscheidend dazu bei, den Leuten die Virtuosität des Geigers erst, ja, greifbar oder vielleicht auch nur greifbarer zu machen.
So führte die Washington Post mit Joshua Bell als Protagonisten unlängst ein krudes Experiment durch: Der weltbekannte Musiker sollte zu der Zeit, als er in der Symphony Hall von Boston, wie so oft in der Welt, das Haus füllte, auch einmal für gewisse Zeit im unscheinbaren Getümmel eines U-Bahn-Zugangs das Milieu der Straßenmusiker intrudieren. Die Ungewissheit über den Ausgang und auch die Neugierde, ob die Virtuosität des Künstlers auch außerhalb ehrwürdiger Hallen auffiele, ließ den vielgefragten Violinisten einwilligen.
So spielte denn Bell für etwa eine dreiviertel Stunde vor in der Zeit etwas über eintausend vorbeieilenden Passanten weniger wohlbekannte, aber deswegen nicht minder schwer zu meisternde Stücke auf seinem für sich genommen schon virtuosen Instrument, einer geschichtsreichen Stradivari. Das im morgendlichen Trott vorbeirauschende Publikum war wohl gewählt und durchaus geeignet, wenigstens ein künstlerisch anspruchsvolles Niveau von mehr oder minder lustlosem Gefiedel unterscheiden zu können, bestand es zumeist aus Regierungsangestellten, die eben dort vermehrt zur Arbeit gingen.
Was nun durch die Wahl der Umstände letztlich bewiesen werden konnte, kann hier wohl nicht genau festgestellt werden. Im allmorgendlichen Stress schon mit hochkarätigen Kompositionen konfrontiert zu werden ist zugegebenermaßen nicht gerade einladend, zudem die Erfahrung die Leute eher lehrt, dass gerade an diesen Stellen keine besonders hochwertigen Interpretationen zu erwarten wären, werden sie dort doch beinahe tagtäglich in einen Soundteppich leichterer Kost gehüllt. Womöglich fiel einigen in den wenigen Sekunden des Vorübergehens die Passage ohne den Kontext sogar als eher abstoßend auf. So hat Joshua Bell an diesem Morgen größtenteils unbeachtet sich selbst ein für die Tätigkeit nicht unüblich hohes Honorar eingespielt.
Nur wie kann den vielen Menschen außerhalb dieser Vorhalle das Potential, die Virtuosität in der entsprechenden Halle auffallen? Der Virtuose bleibt derselbe, unabhängig vom Fleck der Erde auf dem er steht. Es sind wohl auch die Umstände, in denen er seine Leistung im Ohr des Zuhörers reifen lassen kann, es wird eine entsprechende Erwartung hier vorausgesetzt. Es reicht also nicht nur, das bisher an Ort und Stelle gehörte durch eigene Leistung zu übertrumpfen, in gewisser Weise muss auch der gesellschaftliche Grundstock eine Erwartungshaltung vorbereitet haben, um den maximalen Impuls beim Zuhörer hervorrufen zu können.
Abschließend noch der Link zum vollständigen Artikel der Washington Post mit ein wenig besseren Videos als dem YouTube-Abklatsch: Pearls Before Breakfast (vom 8. April 2007)
Schach gilt als ein „logisches“ Spiel. Das ist, bestenfalls, die halbe Wahrheit, und die Faszination am Schach betrifft zumeist gerade die Momente, in denen sich das „Logische“, die Determiniertheit einer bestimmten Zugfolge, mit gewissen unwägbaren, dem Bereich des Ästhetischen, des Psychologischen und Biologischen, des Metaphysischen oder sogar Politischen zugehörenden Momenten verbindet.
Es gibt beispielsweise eine Faszination an der klaren Schönheit und Eleganz von Zügen oder Kombinationen, aber auch an der ästhetischen Eigenwilligkeit „exzentrischer“ Eröffnungen oder Varianten (überhaupt hat das Schach eine Ästhetik-Geschichte: zu Beginn des 20. Jahrhunderts ereignete sich mit den „hypermodernen“ Eröffnungen ein Bruch mit dem klassischen Konzept, möglichst geradlinig das Zentrum zu besetzen und viel Raum einzunehmen – ein Bruch, der die Gewissheiten bezüglich Raum und Zeit, Macht und Ohnmacht, Gewinn und Verlust ähnlich radikal in Frage gestellt hat wie in der Kunst).
Oder es gibt eine Faszination an jener Größe namens „Geisteskraft“, wo die messbare Intelligenz niemals isoliert auftaucht, sondern im Zusammenhang steht mit der psychischen und physischen Kondition eines Spielers, seiner Fähigkeit, Angst und Nervosität zu beherrschen oder beim Gegner zu verstärken, in der entscheidenden Phase der Partie zu brillanter Form aufzulaufen, ein langes, kräftezehrendes Turnier durchzustehen.
Die Annalen der Schachgeschichte sind voll von eigenwilligen Techniken, Tics und zwielichtigen Manövern, die nicht selten die Grenze zum Gesetzwidrigen oder Übernatürlichen, zur technologischen oder magischen Verschwörung berühren: Nimzowitschs Kopfstände, während sein Kontrahent am Zug war, die „das Gehirn mit Blut versorgen“ sollten, aber vor allem auch dazu beitrugen, den anderen zu irritieren, gehören ebenso dazu wie Kortschnois Paranoia bei seinem WM-Kampf gegen Karpow, dieser habe einen Hypnotiseur engagiert, der im Publikum sitze und ihn parapsychisch manipuliere. Bobby Fischer, der zu einigen seiner WM-Partien gar nicht erschien, andere mit großer Verspätung doch noch zu seinen Gunsten entschied, um sich nach Gewinn des Titels komplett zurückzuziehen, gilt bis heute als die größte mythische Gestalt des Schach – und manche argwöhnen, dass sich sein Ruf als „bester Spieler aller Zeiten“ mehr den Partien verdanke, die er nicht gespielt hat, als seinen tatsächlichen Siegen.
Beim legendären Weltmeisterschaftskampf zwischen Kasparow und Karpow 1984/1985, einem der wahrscheinlich spektakulärsten Turniere der Schachgeschichte, zeigte sich zudem, was es heißt, dass der Geist des Schachspielers in einem Körper täglich über viele Stunden am Brett sitzt – und dass dieser Körper auch ein politischer Körper ist: Nachdem der Herausforderer Kasparow in der ersten Phase zahlreiche Partien hatte abgeben müssen und fast aussichtslos 0:4 zurücklag, gelang es ihm das eigene Spiel über eine lange Serie von Remis (die nicht zählten) zu stabilisieren. Je länger das Turnier dauerte, desto mehr litt der zarte und gesundheitlich anfällige Karpow unter Konditionsproblemen, und nach einem zähen Ringen, das sich über Wochen erstreckte, begann er zu verlieren, so dass Kasparow aufholen konnte – woraufhin der Kampf im Februar 1985 nach 48 Partien beim Stand von 3:5 für Karpow unter wütendem Protest Kasparows und seiner Anhänger (und unter bis heute ungeklärten Umständen) abgebrochen wurde. Bei der Wiederholung des Turniers im Oktober 1985 mit veränderten Regeln (die den amtierenden Weltmeister leicht begünstigten), gewann Kasparow in einer bravourösen Entscheidungspartie mit 13:11.
Dabei wurden die beiden Kontrahenten immer mehr zu Symbolfiguren in der politischen Auseinandersetzung, die sich zeitgleich vollzog: Der bleiche Russe Karpow mit seinem sauber gestriegelten dünnen Haar und seinem meist ausdruckslosen Gesicht schien die alte Sowjetunion mit ihren Apparaten und ihrem Filz, ihren mechanischen Funktionären und ihrer russischen Elite zu repräsentieren. Seine defensive Spielweise stand für ein System, das seit langem nichts mehr tat als sich zu verteidigen. Der temperamentvolle, aufmüpfige schwarzlockige Aserbaidschaner Kasparow dagegen, der ein offensives, zuweilen unkonventionelles Angriffschach spielte, avancierte zur Galionsfigur von „Glasnost“ (und sein Wechsel in den politischen Widerstand gegen Putin nach dem Karriereende erscheint von daher nicht überraschend).
Man unterscheidet im Schach eine strategische und eine taktische Dimension. Es gibt sozusagen zwei zeitliche Aufmerksamkeitsradien – einen weiten, der sich auf die gesamte Partie erstreckt, und einen engen, der auf wenige Züge begrenzt ist. Hobbyspieler haben schon Probleme, einen oder zwei Züge im Voraus zu berechnen. Großmeister schaffen vier, fünf, sechs oder mitunter mehr, doch auch sie können keine längeren Entwicklungen zwingend determinieren, weshalb für die langfristigen, strategischen Entscheidungen nur vage Anhaltspunkte bleiben: Man weiß, dass bestimmte Figuren auf bestimmten Feldern prinzipiell vorteilhaft positioniert sind – ob sie ihr Potenzial jedoch entfalten können, entscheidet sich erst in der konkreten späteren Stellung. Es gibt mittlerweile sehr ausführliche Eröffnungs-Bibliotheken, deren Varianten sich immer weiter ins Mittelspiel erstrecken – nur selten jedoch bis zu einer klaren Gewinn- oder Verluststellung führen. Welche Strategie man letztlich wählt, hängt mit den eigenen Vorlieben oder Abneigungen zusammen, mit dem persönlichen Stil, mit dem, was man über die Stärken und Schwächen des Gegners zu wissen meint, oder einfach mit Tagesform und Intuition.
Jeder Zug ist also im Hinblick auf diese beiden Aufmerksamkeitsradien und ihre jeweiligen Kriterien zu prüfen: Befindet er sich im Einklang mit der gewählten Strategie, eröffnet er Potenziale, schafft eine aktive oder sichere Stellung? Und nutzt er die konkreten Optionen, den Gegner mit den folgenden Zügen in Schwierigkeiten zu bringen, Figuren zu schlagen oder den König anzugreifen, bzw. sichert er die eigenen Figuren und beugt direkten Angriffen des Gegners wirksam vor?
Wo nun zeigt sich die Virtuosität? Sie zeigt sich innerhalb des engeren, taktischen Radius, in der konkreten Situation, innerhalb weniger Züge, auch wenn die strategische Dimension, der Fokus auf die gesamte Partie, dabei niemals außer Acht bleibt. Die Bravourszene der Virtuosität im Schach ist die Kombination, vor allem dort, wo sie zum Sieg führt, wo der weite Horizont der Partie und der enge Horizont der aktuellen Stellung auf einmal überraschend zur Deckung kommen.
Der meisterhafte Schachspieler beweist sich als solcher zunächst darin, dass er diesen Übergang sieht. Ein Durchschnittsspieler, ja selbst ein solider Profi, der seine Partien mit Ausdauer und gleichmäßiger Wachsamkeit gewinnt (der, wie der Schachvirtuose und Spötter Tartakower zu sagen pflegte, deshalb gewinnt, weil er den vorletzten Fehler macht), wird die Gelegenheit zur virtuosen Kombination erst gar nicht erblicken. Denn es gehört zur virtuosen Kombination, dass sie schwer zu sehen ist, dass sie mit einem ungewöhnlichen, anscheinend widersinnigen oder sogar deutlich nachteiligen Zug beginnt. In ihren spektakulärsten Varianten beginnt sie mit einem Opfer – und den Gipfel des Spektakulären stellt wiederum die Opferung der wertvollsten Figur dar: der Dame. Man opfert die lebenswichtige Dame – und gewinnt trotzdem. Psychoanalytiker hätten dazu gewiss etwas zu sagen.
Bei der virtuosen Kombination geht es nicht nur darum, schnell zu gewinnen statt langsam, in vier oder fünf Zügen Matt zu setzen, statt Figur um Figur abzutauschen, um am Ende mit dem entscheidenden kleinen Übergewicht oder Tempovorsprung beim Vorrücken der Bauern dazustehen. Es kommt darauf an, elegant oder bravourös zu gewinnen – durch eine originelle, außergewöhnliche und riskante Folge von Zügen. Das Risiko steht hier nicht im Widerspruch zur Logik; es ist sozusagen die theatralische Dimension ihres Sich-ins-Werk-Setzens: Nur und genau mit diesen Zügen war in dieser Stellung ein Matt (oder ein Gewinn) zu erreichen. Jede Schwäche, jede Abweichung von dieser Sequenz hätte den zum Greifen nahen Sieg verspielt, und wenn die Kombination mit einem Opfer oder einem strategisch eigentlich ungünstigen Zug beginnt, bedeutet das Verspielen der Chance in der Regel tatsächlich den Verlust der Partie oder einen verzweifelten Kampf um das Remis.
Das Risiko ist also durchaus real, denn das „logische Denken“ des Schachspielers steht immer unter Zeitdruck und unter dem Einfluss zahlreicher höchst kontingenter Faktoren. Es kann stets passieren, dass eine für todsicher gehaltene Siegeskombination plötzlich, nachdem es bereits zu spät ist (denn: „wie berührt, so geführt“), ein winziges Loch offenbart. Reicher noch als an brillanten Kombinationen ist die Schachliteratur an Beispielen dafür, dass ein Angreifer eine nahe liegende Erwiderung übersah oder dass der Kontrahent seinerseits mit einem überraschenden Gegenzug aufwartete. Richtig zu rechnen bedeutet unter den Bedingungen einer Schachpartie eine Performance, die nicht einfach in der Anwendung gelernter Methoden bestehen kann (so agiert der Computer, und darin ist er um Vieles besser als die besten menschlichen Spieler). Das ‚Rechnen’ bedarf hier einer komplexen und labilen Verbindung von logischem Kalkül, visionärer Intuition, die zuweilen an Clairvoyance grenzen mag, oder auch einfach Frechheit – und Glück. Was letztlich die kombinatorische Virtuosität ausmacht, bleibt umso mysteriöser, als auch der Spieler selbst nachher nicht unbedingt klar angeben kann, was er in den Minuten vor dem entscheidenden Zug „gedacht“ hat (und vielleicht auch kein Interesse hat, es mitzuteilen).
Der Virtuose von Wilhelm Busch - nachfolgend in einer, äh...nachgespielten Version. Wer schauspielerische Virtuosität erwartet, wird dabei leider enttäuscht. Das Spiel des Pianisten hinkt dem seines gezeichneten Vorbilds auch sehr hinterher. Dafür konzentriert sich die Darstellung sehr instruktiv auf die Figur des Hörers.
Joan Sutherland und Marilyn Horne in einem Duett aus Bellinis "Norma" - Virtuosinnen nicht nur des Belcanto, sondern auch der geschmackssicheren Kostümierung und Frisur: http://www.youtube.com/watch?v=omx3FHnq2d0
Edita Gruberova mit Adeles "Spiel ich die Unschuld vom Lande" - die Diva, die sich selbst und ihre Vergangenheit in die Performance holt: http://www.youtube.com/watch?v=BMCWFJ97zL0
Dieses Blog ist eine Sammelstelle für virtuose Performances. Jeder kann Beiträge posten. Schreibt, was oder wen ihr virtuos findet. Und ladet Bilder oder Videos hoch, wenn ihr mögt.